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Es gibt noch eine Touristenattraktion in London, die ich niemanden empfehlen kann. Und das wird Sie vielleicht überraschen, denn ich meine das Wachsfigurenkabinett der Madame Tussauds. Keine Frage, es ist ein Magnet mit vielleicht den höchsten Besucherzahlen. Ganzjährig geöffnet und (fast) immer gerammelt voll. Deshalb muß ich ein wenig zurückrudern in meiner harschen Kritik und zugestehen, dass man nirgendwo das englische Schlange stehen besser erleben kann. Bei Madame, in der Marylebone Road kann man eine Queue erleben, wie sonst nirgends in London. Sie ist Kilometer lang, windet sich um zwanzig Häuserecken und endet nicht etwa am Hauseingang. Dahinter geht es munter weiter; es schlängelt sich bis irgendwo ganz hinten, wo ganz weit weg eine Kasse auftaucht. Wer es bis dahin lebend schafft, muß £25 Eintritt pro Nase zahlen. Ehepaare mit zwei Kindern werden um die £80 los. Ganz ungeniert werden ‘Spezial Angebote’ offeriert; wer vorab freiwillig das Doppelte zahlt, kann einen separaten Eingang nutzen. Und genau das gefällt mir an dem ganzen Angebot nicht. Es ist extrem profitorientiert ausgerichtet. Während des Rundganges werden sie ständig um weitere Käufe gebeten. Dauernd muß man zusätzliche Tickets kaufen, wenn man in alle Ecken sehen will. Mich erinnert das ungemein an Computerspiele mit endlosen App-In-Käufen. Ich mag sowas nicht.
Nun gehöre ich vielleicht auch nicht der richtigen Zielgruppe an. Madams Geschäftsidee stößt bei mir auf Granit. Denn ich finde die Wachspuppen eher langweilig. Warum soll ich mir einen lebensgroßen Schauspieler, Sänger, Politiker usw. ansehen, wenn er nichts macht? Die Dinger sind mausetot, sie sagen nix, singen nicht, stehen einfach nur rum. Da gehe ich doch lieber ins Kino oder Konzert und erlebe sie in Aktion.
Gut, die Figuren sind sehr echt gestaltet. Die Kostüme sind perfekt. Leider hat man auch ein paar ‘Fallen’ eingebaut, auf die ich prompt reingefallen bin. Da kniet eine Besucherin mit ihrer Kamera vor Brat Pitt und ich Idiot warte stundenlang bis sie endlich ihr Bild gemacht hat. Erst als George mir ins Ohr flüstert, dass auch diese Figur aus Wachs ist, begreife ich meine saublöde Situation. Vielleicht bin ich auch deshalb ein wenig verärgert über das ganze Theater.

Die ganze Show ist das Paradies für Leute mit Smartphone. Man darf fotografieren und es werden Selfies ohne Ende geschossen. Das scheint der Hauptzweck der Besucher zu sein. Und ich bin wahrscheinlich zu alt, um den Spaß an der Selbstaufnahme zu begreifen. Wem soll ich meine Visage aus nächster Nähe zuschicken? Macht man das um Freude zu verbreiten oder ist das eher ein fieser Versuch des Erschreckens? Ich kapiere es einfach nicht. – George scheint auch einiges anders als ich zu beurteilen. Als wir der königlichen Familie Auge in Auge gegenüberstehen, murmelt er: The Queen, Phil, Will, Kate and the bloke with the sticking ears. Das war jetzt aber auch nicht nett.
Irgendwann am Ende des Rundganges wird eine Taxifahrt durch die Geschichte angeboten. Die ist richtig gut und spannend. Man besteigt ein Black Cab, das klassische Londoner Taxi, und glaubt durch die Stadt zu rumpeln. Draußen sieht man Straßen und Menschen ganz unterschiedlicher Epochen. Well done. Aber Extrapreis! Weniger spannend ist die Scream Attraction. Wer noch einmal den halben Eintrittspreis drauflegt, wird hier von Schauspielern markerschütternd angetatscht und darf Jack the Ripper beim Niedermetzeln seiner Opfer zusehen. Ich mag so was nicht so sehr, -womöglich muß ich noch irgendwie aktiv mitmachen-, und George kann man mit Theaterblut auch nicht weichklopfen. Wer auf solchen Grusel steht sollte lieber das London Dungeon besuchen, die sollen eine sehr solide Show bieten.
Und damit genug. Ab sofort werde ich nicht mehr rumnörgeln. London ist so groß und vielfältig, dass jeder sein Glück finden wird. Und meins habe ich ja längst an der Hand. Übrigens wo ist er denn geblieben? Macht George jetzt wieder die uralte Nummer und steht regungslos zwischen den Puppen? Ich fürchte es fast.
The boss himself says:
George says: “Did you saw Churchill next to Hitler. Sir Winston must be turning in his grave. Perhaps a late revenge to the lost war?“
Ich sage: “Hast du die vielen Familien bemerkt? Die müssen doch einen Wochenlohn losgeworden sein, wenn sie sich alles angesehen haben. Ich finde das überzogen; das Preis-Leistungsverhältnis hängt hier irgendwie schief.“
Was passierte noch am 12. Mai?
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1971 | Als erste Nachrichtensprecherin im deutschen Fernsehen liest Wibke Bruhns ab
22:15 Uhr die Heute-Spätnachrichten im ZDF. – In der Hauptsendezeit hielt man Frauen für untauglich. Die Emanzipation fing mit ganz kleinen Schritten an. |
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2000 | In London öffnet die Tate Gallery of Modern Art in einem alten Kohlekraftwerk in
Southwark für den Publikumsverkehr. – Schon tausendmal (sorry, vielleicht zwölf?) gesehen und nie besucht. Das hole ich nach. |