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Der Zustand des Londoner Strassenverkehrs lässt sich eigentlich nur im Widersinn beschreiben: Es herrscht der dauerhafte Ausnahmezustand. Während die Autofahrer ‘bumper to bumper’ stehen und nicht einen Meter vorankommen, sehen sie neben sich eine komplett freie Fahrbahn, leider für sie gesperrt. Eigentlich sollen hier die Radfahrer fröhlich ins Büro radeln, tatsächlich aber ist auf den cycle lanes kaum jemand unterwegs.

Boris Johnson, der Ex-Bürgermeister von London, ist begeisterter Radfahrer. Er baute in wenigen Jahren die Londoner Innenstadt zu einem Radler-Paradies um. Eine Idee mit Potential, denn Radfahren ist umweltfreundlich und jeder Autofahrer, der auf den Drahtesel umsteigt, entlastet den Verkehr. So dachte man und lag daneben. Tatsächlich hat kaum einer das Angebot angenommen und jetzt stauen sich die vielen Autos auf den teilweise stark eingeschränkten Strassen noch mehr und verpesten die Luft.

Leider fahren noch viele Engländer Diesel Fahrzeuge. Das soll sich ändern und auch hier beschleunigt man den Prozess durch wirksame, aber schmerzhafte, Massnahmen. Ab 2017 wird für den Dieselfahrer eine T-charge fällig, also ein Emissionsabgabe. Sie wird in Londons Innenstadt 10 Pfund betragen. Dazu kommt die Congestion Charge mit £11.50, so dass man also täglich (!) 25,00 Euro*) bezahlen muß, wenn man in London mit einem Diesel Auto fährt. Und das habe ich mit heutigen Kurs berechnet, der ziemlich im Keller ist. Damit dürfte das Dieselproblem gelöst sein. Solche Maßnahmen kommen beim Wähler nicht gut an, aber darauf nimmt man wenig Rücksicht. Das ist konsequentes Handeln und ich finde es mutig und aufrichtig. ‘Rumeiern’ liegt dem Engländer nicht im Blut.
*) Falls Sie auch noch ein- bis zwei Stunden parken wollen, können Sie die Summe gleich mal verdoppeln.

Anders als in Hamburg, wird den Londoner Radfahrern nicht nur das Benutzen der Fahrbahnen gestattet. Ihnen hat man gleich eine komplett separate Fahrspur zugestanden und die fehlt jetzt dem Autoverkehr. Die Straßen in der City sind oft nicht besonders breit, nun hat man davon auch noch fast ein Drittel abgezwackt und deshalb kommt es in der rush hour zu elend langen Staus. Eine Nachbarin erzählte mir: “Even after 10pm traffic is still crawling along the Embankment and Tower Hill.” Beides sind Hauptverkehrsstraßen entlang der Themse.

Die Verlagerung des Berufsverkehrs vom Auto auf das Fahrrad, war eines der vielen gigantischen Projekte, die in London immer mit bewunderswerter Schnelligkeit und Entschlossenheit realisiert werden. Da fackelt man nicht lange, nimmt die Schaufel in die Hand und baut los. Und dabei kann es dann passieren, das man über das Ziel hinausschießt und niemand es bemerkt. Bei den Radfahrwegen scheint genau das passiert zu sein. Ähnliche Planungen gibt es zeitgleich auch in Hamburg. Auch dort tut man sich mit der Koordination Auto/Rad schwer. Manche Radspur erwies sich als unpraktisch und mußte kurz nach Fertigstellung wieder umgebaut werden. Die Engländer überspringen diese Projektphase gerne. Sie schaffen Fakten, die dann kaum noch korrigiert werden können. Irgendwie erinnert das an Brexit, oder?

Allerdings muß zur Verteidigung des übereifrigen Engländers auch erwähnt werden, dass er sich die Zeit zum Abwägen und Ausprobieren einfach nicht leisten kann. Sobald er einmal an Fahrt verliert, sinkt das Interesse auf den Nullpunkt. Ihm wird schnell langweilig und dann ist er wie gelähmt und kann die angefangenen Arbeit einfach nicht fortsetzten. Das soll an den Genen liegen und irgendwo gleich hinterm Hippocampus, das ist so eine Art Seepferdchen im Kopf, neuronal verankert sein. Behauptet jedenfalls George. Das muß ich dann wohl so hinnehmen.

The boss himself says:
George says: “In the nineties they spent millions on road-widening schemes to improve traffic flow, now they’re spending millions on narrowing them again.“
Ich sage: “So ist ist das Leben. Ein ewiges Ein- und Ausatmen.” “I can go up the wall when I see cyclists still use mainstream roads even when cycle lanes are built.”

Was passierte noch am 8. Oktober?
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1906 |
In London stellt der deutsche Friseur Karl Ludwig Nessler eine von ihm erbaute Dauerwellen-Apparatur vor. – Nessler war eigentlich Schafhirte und fragte sich den ganzen lieben langen Tag, warum die Schafe dauerhaft gelocktes Fell haben. Irgendwann ist er dahinter gekommen und hat es dann an der Londoner Damenwelt ausprobiert. Schaaaaaaaaaaaf. |
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1965 |
In London wird der Post Office Tower in Betrieb genommen. Der Fernsehturm ist mehrere Jahre lang das höchste Bauwerk der Stadt. – Er ist 180 Meter hoch und kann noch heute in der Cleveland Street bestaunt werden. Beste Lage, südlich des Regent’s Parks. |